10.09.2023 | Hans Helmut Börner und Anke Braun

Herbstthema 2023

Pflege von Bäumen im Ertragsalter

Ein Leitfaden für die Altbaumpflege

Die Pflege des Baumes in seinem Ertragsalter orientiert sich weiterhin an den im Herbst-Flyer 2022 beschriebenen Grundregeln von Wuchs und Schnitt sowie dem dargestellten Leitbild zur Erziehung. Die statische Grundstruktur der Krone besteht aus einer Stammverlängerung und drei bis vier Leitästen. Diese gehören zu den Ästen der 1. Ordnung; die Seiten- oder Fruchtäste mit Fruchtholz zu denen der 2. Ordnung, die den Ästen der 1. Ordnung klar untergeordnet sind. Hat der Wuchs des Baumes diese Ordnung verlassen, so sollte er neu betrachtet und gegebenenfalls korrigiert werden.

Wir betrachten in diesem Flyer den Baum im jungen Ertragsalter und dokumentieren den Schnitt eines 40 – 45-jährigen Baumes, der über einen längeren Zeitraum nicht gepflegt wurde.

Ziel der Baumpflege

Im Erwachsenenalter ist es sinnvoll, Hochstämme zu haben, deren statischer Aufbau den Erfordernissen des Ertrages gewachsen ist, die wenig Pflegeaufwand benötigen und sich gut pflegen lassen. Sie sollen zudem gesundes, gut ausgereiftes Obst liefern. Das regelmäßige Schneiden der Bäume regt das Wachstum oberhalb und unter der Erdoberfläche an – eine gute Fruchtbildung von großen, gesunden Früchten wird ermöglicht und auch das Wachstum der Wurzeln wird hierdurch gefördert. Werden Apfelbäume über einen längeren Zeitraum nicht geschnitten, so vergreisen sie. Das zunächst verstärkte Triebwachstum wird reduziert und eventuell komplett eingestellt. Die Früchte bleiben klein und wachsen verschattet.

Teaser
Erwachsener Baum, ca. 40 Jahre, Entwicklung nach Pflegeschnitt im Spätwinter

Der einmal angelegte statische Aufbau kann bei einer klaren Ordnung des Kronengerüstes über die gesamte Lebensdauer des Baumes erhalten bleiben. Durch gezielte Eingriffe kann Einfluss auf die Entwicklung einzelner Astpartien oder die Beibehaltung des Gleichgewichtes von Holz- und Fruchtbildung erzielt werden. Vorteil der so entwickelten Krone ist, dass auf den abgetragenen Ästen immer wieder nach oben ragende Verjüngungsäste wachsen, die nachfolgend tragen und sich wieder absenken. Der Pflegeaufwand wird bei diesem System, das der natürlichen Wuchsform des Baumes entspricht, geringer. Eine grundsätzliche Umerziehung entsprechend dem Leitbild ist jedoch bei älteren Bäumen, die längere Zeit nicht gepflegt wurden, nicht das Ziel. Vielmehr wird auf die vorhandene Situation reagiert und ein Gleichgewicht in Wuchs und Statik geschaffen.

Die allgemeinen Wuchsgesetze, wie bei der Pflege der Jungbäume beschrieben – Herbstflyer 2022, Streuobstwiesenpflege Jungbäume (LINK – Flyer 2022 hinterlegt), sind auch als Grundlage für den Pflegeschnitt zu sehen.

Beginnendes Ertragsalter

Ausbildung des statischen Grundgerüstes im beginnenden Ertragsalter des Baumes, ca. 18 Jahre, bei regelmäßiger Pflege.

Gelb: Zu erkennen sind die Stammverlängerung und die Leitäste als Äste 1. Ordnung, die durch ihren relativ aufrechten Wuchs die Fruchtlast gut abtragen können.
Orange: Die Fruchtäste (Seitenäste mit Fruchtholzbildung) setzen an den Leitästen an und sind klar untergeordnet; sie sind flacher gehalten und in der Stärke der Äste auch schwächer als die Hauptäste
Rot: Im oberen Bereich der Stammverlängerung setzt ein zweiter Kranz Äste an, die als Fruchtäste klar untergeordnet sind und die Leitäste nicht überbauen. Sie müssen auch in Zukunft regelmäßig eingekürzt und flachgehalten werden. Ansonsten könnten sie das Hauptwachstum leicht übernehmen, da sie in der oberen Krone angesiedelt sind.

Beispiel: Pflegeschnitt am Altbaum im Ertragsalter, ca. 40/ 45 Jahre alt

Der Baum ist aktiv, weitestgehend gesund, aber längere Zeit nicht gepflegt. Er bietet eine Stammverlängerung und 3—4 Leitäste, deren Funktion und Aufbau mit dem Schnitt verstärkt und herausgearbeitet werden können. Es sind wenig Totholz und keine Hohlstellen vorhanden

Gelb: Die Stammverlängerung der ursprünglichen Struktur hat sich über die Jahre unter Fruchtbelastung abgesenkt - Oberseitentriebe haben das Wachstum mit Konkurrenztriebbildung übernommen. Eine ältere Absenkung übernimmt nun eine Leitastfunktion. Der ursprüngliche Leitast wurde im Laufe der Zeit zu stark eingekürzt und ist verkümmert. Die weiteren Leitäste sind weit ausladend, teils abgeflacht.
Rot: Konkurrenztriebe zur Stammverlängerung haben sich auf der ursprünglichen Stammverlängerung sowie auf einem Leitast gebildet.
Rot hinterlegt: Der Baum hat viel abgetragenes, hängendes Fruchtholz.

Das Wachstum des Baumes hat sich stark nach oben verlagert und bereits zu Überbauungen der unteren Bereiche geführt; kleinere Äste sind kurz vor dem Absterben. Die Triebbildung ist abgeschwächt – das Gleichgewicht hat sich zu verstärkter Fruchtbildung verschoben. Der Kronenbereich ist im Inneren stark verdichtet, es fehlen Licht und Luft. Die Höhe des Baumes muss eingekürzt und die Krone ausgelichtet werden.

Schnittmaßnahmen

Der Schnitt erfolgt im späten Winter, wodurch das Wachstum weniger angeregt wird. Da relativ viele Korrekturen anstehen, soll es nicht zur übermäßigen Triebbildung (Wasserschosse) in der kommenden Vegetationsperiode kommen. Auch wird beim Schnitt ausreichend Fruchtholz mit Blütenansatz stehen lassen. Dies fördert die Fruchtbildung und reguliert hierdurch ebenfalls das Triebwachstum.

Gelb: Zunächst wird die Höhe des Baumes und seine „Spitze“, das obere Ende der Stammverlängerung neu definiert. Der Baum wird deutlich eingekürzt. Am obersten Ast wird ein schwächerer Trieb hochgebunden, der in den Folgejahren die Spitze bilden soll. Die Spitze wird schlankgeschnitten = viele kleine Seitenäste werden im oberen Bereich der Stammverlängerung weggeschnitten um das Wachstum hier zu bremsen. Die Höhe der Spitze ist nachfolgend auch das Maß für die Einkürzung der Leitäste, die die Spitze nicht überragen sollen. Der untere Leitast hat über die Zeit seine Funktion verloren und die ehemals abgesenkte Stammverlängerung übernimmt die Leitastfunktion. Sie wird auf aufrecht wachsendes Holz abgeleitet um sie als Leitast zu stärken.
Rot: Die Konkurrenztriebe der Stammverlängerung werden weggeschnitten oder eingekürzt und auf flach wachsende Seitentriebe abgeleitet. Bei kompletter Wegnahme dieser Konkurrenztriebe wären die Wunden an ihrem Ansatz auf den Astoberseiten zu groß. Der obere Astbereich wird eingekürzt um die darunter liegenden Leit- und Fruchtäste nicht zu überschatten. Die Krone wird ausgelichtet.

Rot: Der konkurrierender Leitasttrieb in der Krone kann aufgrund seiner Stärke nicht komplett herausgenommen werden. Er wird eingekürzt und auf kleinere Äste abgeleitet, so dass er nicht mehr stört aber in Wachstum gehemmt wird.

Nachdem der obere Kronenbereich bearbeitet wurde, werden die Leitäste in ihrer Höhe und Ausrichtung definiert. Ausladungen werden eingekürzt – dies ist erst nach der Regulierung der Überbauung des oberen Astbereiches möglich. Hierbei wird darauf geachtet, dass die Ableitung auf ein Wachstum, einen Trieb nach oben erfolgt, das dem Leitast die neue Richtung gibt. Die oberen Bereiche werden bei den stärkeren Leitästen wie bereits bei der Spitze schlankgeschnitten. Konkurrierende Seitenäste oder Triebe werden herausgenommen oder abgeleitet auf schwächeres Wachstum – somit dem Leitast klar untergeordnet.

Auch die Peripherie der Leitäste wird entlastet. Zu weit ausladende Fruchtäste werden eingekürzt, abgetragenes Fruchtholz herausgenommen. Hierbei wird darauf geachtet, dass ausreichend Fruchtholz und Blattmasse stehen bleibt. Der Baum kann so seine Kraft im Folgejahr in Holzwachstum und Fruchtbildung leiten.

Am Beispiel des rechten Leitastes kann man sehr gut das Herausarbeiten der neuen Leitastverlängerung erkennen; der ausgewählte Ast wird etwas heruntergebunden, um das Höhenwachstum zu kontrollieren. Durch die neue Defnition des Leitastes wird sein Höhenwachstum kontrolliert gefördert; dies hat zur Folge dass sich im Folgejahr weniger Oberseitentriebe bilden.

Beachten: Ausreichend Äste, somit auch Blattmasse belassen, die
a) den Baum gut versorgen und
b) verhindern, dass kein übermäßiges Wachstum mit starkem Austrieb angeregt und somit der Pflegeaufwand in den Folgejahren hoch wird. Ist Fruchtholz vorhanden, kann die Kraft auch in die Fruchtbildung gelenkt werden.

Nach dem Schnitt erscheint der Baum in seinem Gesamtbild in einer angemessenen Größe – das Verhältnis von Stamm zu Krone mit Ast- und nachfolgend Blattmasse ist ausgeglichen und wie das Bild bei Belaubung (Titelbild) zeigt, wirkt der Baum gesund und reagiert mit ausgeglichenem Triebwachstum auf den Eingriff.

Durch die Stärkung des Ordnungsprinzips im Baum unter Beachtung der genannten Aspekte ist auch in den kommenden Jahren mit gemäßigtem Pflegeaufwand zu rechnen. Insbesondere die Spitzenförderung reduziert diesen. Im Leitast- und Fruchtholzbereich wird der Wuchs nach oben gefördert. Steiler stehende Seitenäste werden Frucht bilden, sich absenken und auf ihrer Oberseite werden sich wieder neue Triebe bilden. Über Leitast und Stammverlängerung entwickelt sich der Baum kontrolliert nach oben. Schneidet man den Baum insgesamt zu flach, so fördert man die übermäßige Triebbildung auf der Astoberseite.

Reagiert ein Baum nach dem Pflegeschnitt trotzdem mit starkem Neuaustrieb (Wasserschosser), so können diese im Mai/ Juni durch Ausreißen teilweise herausgenommen werden. Die weitere Triebbildung wird reduziert da beim Reißen die Astaugen mit entfernt werden. Risswunden verheilen zudem besser als Schnittwunden.

Für den Umgang mit den verschiedenen Altersphasen des Baumes gilt:

Jungbaum:
Förderung des Holzwachstums = Förderung aufrecht stehender, Wachstum aufnehmender Äste
Regelmäßiger stärkerer Schnitt des Baumes als Anregung, Holz zu bilden und seine statische Form auszubilden und zu stärken – Fruchtbehang ist hier nicht gewollt

Ertragsalter:
Ausgleich schaffen: steil stehendes Holz = Wachstum / flach stehendes Holz = Fruchtbildung
Gemäßigter Schnitt, Holzwachstum und Frucht werden im Gleichgewicht gehalten, getragen wird am zweijährigen Holz - für die Fruchtbildung müssen regelmäßig Neutriebe gebildet werden

Altbaum:
Förderung steil stehender Äste = Anregung zur Holzbildung; Herausnahme abhängendes Holz und Totholz
Bei zu geringer Pflege hat der Altbaum meist überaltertes Holz und wenig Neutrieb – Schnitt hinsichtlich Anregung des Holzwachstums und der Verjüngung betonen

Merken: Winterschnitt fördert das Triebwachstum! Sommerschnitt wirkt triebhemmend!
Merken: Schwacher Schnitt reguliert, starker Schnitt regt an!

Vorgehen beim Schnitt

Generell wird von oben nach unten geschnitten. Die Bäume entwickeln sich aufgrund der natürlichen Förderung der höchsten Bereiche in diesen stärker als weiter unten - werden höher und ausladender und überbauen die unteren Äste und nehmen ihnen Wuchskraft und Licht. Greift man nicht ein, entwickelt sich der Baum immer weiter in die Höhe und die unteren Äste – auch Leitäste – verkahlen bis hin zum Absterben. Nach Regulierung der Überbauungen werden die unteren Astpartien geschnitten.

1. Vitalität des Baumes prüfen

  • Beurteilung des Triebwachstums im Vorjahr
  • Gibt es Befall durch Krankheiten, Schadorganismen (Pilze wie bspw. Baumkrebs) oder Misteln, die entnommen werden müssen
  • ist viel Totholz im Baum, gibt es Hohlstellen, partielle Schwächen im Baum, durch die Bruchgefahr gegeben ist

2. Erfassen der Baumstruktur - Welche Möglichkeiten bietet der Baum

  • Ist die Kronenausbildung im statischen Gleichgewicht,
  • sind alle Leitäste ähnlich stark ausgebildet, müssen neue herangezogen werden
  • entspricht die Kronenausbildung dem Ordnungsprinzip; sind Leitäste, Stammverlängerung, Seiten- und Fruchtäste klar definiert
  • Gibt es starke Überbauungen/ existieren Konkurrenten zur Stammverlängerung (2. Krone)
  • Ist der Baum im unteren Leitastbereich noch vital

3. Dichte Krone

  • Hat der Baum im inneren Bereich ausreichend Licht und Luft, ist gutes Arbeiten im Baum möglich

4. Oben mit dem Schneiden beginnen

  • Überbauung zurücknehmen, Ableitungen, Schlankschneiden, auslichten
  • Den Baum entsprechend seinen Möglichkeiten in ein Gleichgewicht bringen – zu starke Verwachsungen können oft nicht einfach herausgenommen werden, sondern werden nach Möglichkeit durch Ableitungen untergeordnet

5. Wenig im Feinastbereich schneiden

  • klar definiert übermäßiges Holz herausnehmen
  • Schnittwunden sollten nicht zu groß und in der Größe der Vitalität des Baumes angepasst sein

6. Abgetragenes Fruchtholz herausnehmen

  • Ableiten auf flachstehende Triebe oder steil stehende Triebe formieren (leicht herunter binden)
  • teilweises auslichten von abgetragenem, hängendem Fruchtholz

Weitere Regeln beim Schneiden

  1. Größe der Wunden entsprechend Vitalität des Baumes – Wunden über 10 cm Durchmesser verheilen nur schlecht
  2. Schnitte über 2-3 cm auf Astoberseite vermeiden
  3. Keine Stummel stehen lassen – zu entnehmende Äste auf Astring schneiden

Unvollständig verheilte Schnittstellen bieten Eintritt für Wasser, Pilze und sonstige Schädlinge

Bruchgefahr insbesondere bei Schnitt auf Astoberseite - Holzschwächung durch Staunässe und Zersatz

Fast vollständig verheilte Schnittfläche

Stummel trocknen aus – Eintritt für Pilze und Krankheiten

Quellen:
Text: „Pflanzung und Pflege von Streuobstbäumen“, Alexander Vorbeck, Landschaftspflegeverband Aschaffenburg e.V., Bayernstraße 18, 63739 Aschaffenburg, 2011; „Naturgemäße Kronenpflege am Obsthochstamm“, Hans-Thomas Bosche, Kompetenzzentrum Obstbau Bodensee (KOB), Schuhmacherhof 6, 88213 Bavendorf, 2016; „Handbuch für Obst- und Gartenfachwarte“, Rolf Heinzelmann, Landesverband für Obstbau, Garten und Landschaft Baden-Württemberg e.V., Klopstockstraße 6, 70193 Stuttgart, 2014
Fotos: Anke Braun; Bildbearbeitung: Achim Ruhland