Herbstthema 2015
Mistelbefall von Streuobstbäumen
Der immergrüne Schmarotzer - die Mistel
Vielerorts ist in unserer Region ein zunehmend starker Befall von Misteln an Apfelbäumen zu beobachten. Da der Apfelbaum häufig Wirtsbaum der Laubholzmistel ist, sind inzwischen ganze Streuobstanlagen befallen, die nicht mehr einer regelmäßigen Pflege unterliegen. Der Befall ist vor allem im Winter gut sichtbar, wenn das Laub abgeworfen wurde und die immergrünen Misteln gut zu erkennen sind. Oft lässt sich das Bild eines scheinbar geschlossenen grünen Kronenbewuchses erkennen. Einige Bäume sind so stark befallen, dass sie im Winter hierdurch belaubt erscheinen. Bei zu starkem Befall kann der Baum stark geschädigt werden. Es kann sogar zum völligen Absterben des Baumes kommen.
Rechtliche Situation
Lange Zeit wurde fälschlicherweise angenommen, die Mistel stehe unter Naturschutz.
Dies ist in Deutschland jedoch nicht der Fall; die Weißbeerige Laubholzmistel zählt nicht zu den gefährdeten Pflanzenarten. Eine Entfernung der Mistel im Sinne der Baumpflege ist erlaubt und sinnvoll für die Steigerung der Obstproduktion und den Erhalt der Artenvielfalt der Streuobstwiesen.
Wie kommt es zur Schädigung ?
Die Mistel ist ein Halbschmarotzer. Sie wächst in den Tragast hinein, verankert sich dort und entzieht ihrem Wirt über Verknüpfungen mit dessen Versorgungsbahnen Wasser und die darin gelösten Mineralstoffe und Nährsalze. Als Hemiparasit kann sie selber durch Photosynthese Nährstoffe produzieren; darüber hinaus deckt sie jedoch je nach Art und Angebot des Wirtes einen nicht unwesentlichen Anteil ihres Kohlenstoffbedarfes über den Wirtsbaum ab. Die Versorgung des Schmarotzers wird über ein negatives Wasserpotenzial gewährleistet; im Vergleich zum Wirt transpiriert die Mistel wesentlich stärker und gewährleistet so die Versorgung mit Wasser des Wirtes, dessen Wasserleitbahnen sie „anzapft“. Aufgrund des Druckgefälles (Sog) zwischen Mistel und Wirtspflanze, wird das Wasser zum Schmarotzer geleitet. Wenige Misteln auf einem Baum schädigen diesen nicht nachhaltig. Mit zunehmender Stärke des Befalls jedoch verringert sich die Vitalität des Baumes.
Nistet sich eine Mistel auf einem Ast ein, so kann das Wachstum des Astes am Mistelansatz zunächst verstärkt sein – eine Reaktion auf den vermehrten Wasserbedarf. Mit fortschreitendem Wachstum der Mistel jedoch verkümmert der Ast meist hinter dem Mistelansatz, sein Wachstum verringert sich, die Produktivität an Früchten geht zurück; Nährstoffe und Wasser sind nicht mehr ausreichend vorhanden.
Zu beobachten sind oberhalb starken Befalls lichte Kronen, deren Blattwachstum eingeschränkt ist, bis hin zur vollständigen Verkahlung. Bei starkem Befall stellt der gesamte Baum seine Fruchtproduktion ein. Wird der Befall nicht entfernt oder weitgehend eingeschränkt, können die betroffenen Teile des Baumes über die Einstellung der Fruchtproduktion hinaus auch die Blattbildung einstellen bis hin zum Absterben der befallenen Äste oder sogar des ganzen Baumes. Dies wirkt sich nicht nur auf die Obstproduktion aus – auch in Hinsicht auf viele Nützlinge wird das Nahrungsangebot mit Reduktion von Blattmasse, Blüten und Fruchtbildung für diese deutlich eingeschränkt.
Da die Bäume vieler Streuobstwiesen überaltert und wenig gepflegt sind, kann der Mistelbefall entsprechend hoch werden, wenn diese nicht beseitigt werden. Eine fehlende Baumpflege – vor allem der Altbäume – sorgt dann für eine starke Ausbreitung im näheren Umkreis. Aber auch stark befallene Pappeln oder Weiden in der Umgebung können Ursache einer immer wiederkehrenden Befallssituation sein.
Bei Stresssituationen, wie z. Bsp. Geringen Niederschläge und großer Hitze können auch jüngere Bäume vorübergehend an Vitalität verlieren und von Misteln befallen werden.
Wie kann dem Baum geholfen werden ?
Generell ist eine fehlende Pflege der Obstbäume die Ursache für einen starken Mistelbefall.
Mit der regelmäßigen Baumpflege der Apfelbäume sollten Misteln entfernt werden. Dies kann beim jährlichen Obstbaumschnitt erfolgen. Die Mistel entwickelt paralell zum Tragast Rindenstränge, in welchen schlafende Knospen ruhen. Um einen erneuten Austrieb der Misteln hier zu verhindern, sollten befallene Äste bis auf die nächstmögliche Ableitungsstelle des Astes – wenn möglich 20 bis 30 cm unterhalb des Mistelansatzes entfernt werden. Bei starkem Befall ist dies nur durch einen radikalen Rückschnitt möglich, wobei jedoch unbedingt die Vitalität des Baumes und die Folgen eines starken Schnittes berücksichtigt werden müssen. Eventuell muss das komplette Entfernen der Misteln auf mehrere Jahre verteilt werden. Ist der Befall an einem Leitast oder einem tragenden Ast der Krone angesiedelt, so kann die Mistel am Ansatz entfernt werden – da immer wieder Neuaustriebe wiederkehren können, ist eine Kontrolle dieser Stellen ratsam.
Nur durch regelmäßiges Entfernen der Misteln im Streuobstbestand wird die Bildung von Beeren verhindert und somit der Befall eingedämmt.
Generell ist bei starkem Befall der Winter der richtige Zeit zur Entfernung der Misteln. Der Baum wird beim Winterschnitt zu starkem Neuaustrieb angeregt. Ist der Befall noch gering, so ist zu überlegen, die Misteln im Sommer zu entfernen – die Wundheilung ist hier besser und durch wenige Eingriffe im Sommer wird der Baum nicht nennenswert in seinem Wachstum im kommenden Jahr gehemmt.
Soll der Neuaustrieb hingegen in der nächsten Vegetationsperiode gewollt verringert werden, so empfiehlt sich der Sommerschnitt auch bei stärkerem Befall.
Biologie der Mistel
Bei uns in Mitteleuropa ist vor allem die Laubholzmistel (viscum album ssp. Platyspermum – Weißbeerige Mistel) verbreitet. Sie wächst als immergrüne, kugelige Pflanze insbesondere auf Apfelbäumen, Pappeln, Linden, Weiden, Birke, Robinie, und Ahorn (und weiteren Laubbaumarten). Bezeichnend sind ihre im Winter reifen weißen Scheinbeeren auf immergrünem Laub, wegen derer sie in der Vorweihnachtszeit gerne zu dekorativen Zwecken benutzt werden.
Die Mistel ist ein Semiparasit – ein Halbschmarotzer, die sich auf einer Wirtspflanze ansiedelt, da sie keine eigenen Wurzeln ausbilden kann. Sie nutzt deren Wasser- und Nährsalzversorgung, betreibt zwar eigenständig Photosynthese, deckt jedoch einen nicht unerheblichen Nährstoffbedarf über die Wirtspflanze ab. Hierzu treibt der Sämling Haustorien – umgewandelte Wurzeln - in das Splintholz des Wirtsbaumes, verankert sich durch Wurzeltriebe – sogenannte Senker – im Holz und zapft über diese das Versorgungssystem seines Wirtes an. Da die Mistelsamen Lichtkeimer sind, siedeln sie sich vorwiegend im Kronenbereich des Baumes auf lichtnahen Trieben mit noch dünner Rinde an.
Vor allem geschwächte Bäume werden befallen; so sind ältere Bäume vieler Streuobstbestände betroffen. Aber auch junge Bäume in Stresssituationen aufgrund von Witterungseinflüssen oder Schädlingsbefall können frühzeitig von Misteln befallen werden.
Ist das Dickenwachstum eines sehr vitalen Baumes stark, so kann der Mistelkeimling überwuchert werden und die Mistel stirbt ab. Dies könnte die Erklärung dafür sein, dass der Mistelbefall bei solchen Bäumen höher ist, deren Vitalität bereits eingeschränkt ist.
Entwicklung
Im ersten Jahr fixiert sich der Keimling auf dem Ast und beginnt den Einwuchs eines Primärsenkers in die Wirtsrinde. Dies geschieht zum einen mechanisch, zum anderen mittels Enzymen, die ein Eindringen in den Wirt erleichtern. Im zweiten Jahr dringt dieser in das Kambium des Wirtes vor und wird im dritten Jahr von durch das Dickenwachstum des Tragastes von Holz umwachsen, findet Anschluss an die Wasserleitungsbahnen des Wirtes und bildet Rindenstränge entlang des Tragastes mit Sekundarsenkern aus, die weitere Verbindungen zu den Leitbahnen des Wirtsbaumes herstellen.
Entlang dieser Rindenstränge bilden sich schlafende Knospen, die bei Zerstörung der Mutterpflanze neue Misteltriebe ausbilden können.
Verbreitung
Die Verbreitung der Misteln findet über Vögel statt. Im Vorfrühling blühen die Misteln – männliche und weibliche Blüten sind hierbei auf verschiedene Mistelpflanzen verteilt. Fliegen, Ameisen und Bienen befruchten diese. Die weißen Beeren reifen dann bis im Dezember und sind im Winter eine Nahrungsquelle für viele Vogelarten wie Drossel, Mönchsgrasmücke und Seidenschwanz. Die Beeren werden von den Vögeln komplett geschluckt und der Samen wird über die Verdauung des Vogels wieder ausgeschieden.Auch können die Samen von den Vögeln aufgrund der starken Klebrigkeit der Beeren an Ästen abgestreift werden. Die so im Winter verbreiteten, klebrigen Mistelsamen haften am Wirtsast und beginnen ab März/April zu keimen.
Schnitttechniken und Wissen über die Streuobstwiesen können bei Veranstaltungen der Obst- und Gartenbauvereine erworben werden. Die Adressen und Veranstaltungstermine der Vereine können Sie der Webseite des Landesverbandes Hessen für Obstbau, Garten und Landschaftspflege e.V. entnehmen: www.logl-hessen.de
In diesem Zusammenhang Vielen Dank an Hans Helmut Börner, Geschäftsführer des Kreisverbandes Odenwald-Dieburg für Obstbau, Garten- und Landschaftspflege für Informationen zum Thema.
Ein ausgesuchtes Fachbuch zu Pflanzung, Schnitttechnik und Pflege von Apfelbäumen können Sie in der Kelterei Krämer erwerben.
Quellen:
Tubeuf: Monografie der Mistel, 1923, Verlag
Lüttke, Kluge, Thiel: Botanik – Die umfassende Biologie der Pflanzen, Wiley-VCH Verlag, 2010
Luther, Becker:Die Mistel – Botanik, Lektine, medizinische Anwendung, Springer Verlag 1987
Julius Sachs: Vorlesungen über pflanzenphysiologie, 2. Auflage, Leipzig 1887
BFN (Bundesamt für Naturschutz, Hrsg.), 1996: Rote Liste der gefährdeten Pflanzen Deutschlands.
Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz: BNatSchG, Einzelnorm §39
Hartmann, T., 1994: Anatomische und morphologische Untersuchungen zum Wechselverhältnis von Mistelpflanzen und ihren Wirtsbäumen am Beispiel der Tannenmistel und der Kiefernmistel. Dissertation, TU Berlin.
Nierhaus-Wunderwald, D, Lawrence, P. : Zur Biologie der Mistel – Merkblatt für die Praxis, Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft, Birmesdorf, Schweiz, 1997